Hinweis: Dieses Berufsbild wurde in der vorliegenden Fassung im März 2002 vom Vorstand des Bundesverbandes der Gebärdensprachdolmetscher*innen Deutschlands e.V. verabschiedet und von der Bundesversammlung bestätigt.

Berufsbild für Gebärdensprachdolmetscher/innen und verwandte Berufe

Einführung

Gebärdensprachdolmetschen ist eine vergleichsweise junge Profession, die sich in Deutschland erst Mitte der 80er Jahre zu etablieren begann. Davor wurden zur Vermittlung zwischen Hörenden und Gehörlosen (bzw. Schwerhörigen und Ertaubten) meist Verwandte herangezogen (häufig Kinder gehörloser Eltern, so genannte “natürliche Dolmetscher”). Eine andere Möglichkeit war, dass Angehörige von mit gehörlosen Menschen befassten Berufen (Gehörlosenlehrer, Gehörlosenseelsorger, Sozialarbeiter/Fürsorger für Gehörlose) in verschiedenen Situationen die Interessen Gehörloser vertraten. Die Tätigkeit dieser Personen hatte in der Regel einen Notdienstcharakter und kann nicht als professionelles Dolmetschen bezeichnet werden, da hierbei nicht ausschließlich von einer Sprache in eine andere übersetzt wurde, sondern gleichzeitig oder zusätzlich sozialarbeiterische oder anwaltsähnliche Funktionen ausgeübt wurden (teilweise sogar mit der Haltung eines paternalistischen Helfers).

Erst in den 60er Jahren lieferte die Wissenschaft Erkenntnisse, die den Status der Gebärdensprache als eigenständige Sprache mit einer sich deutlich von der Lautsprache unterscheidenden Grammatik bewiesen. Parallel zu diesen internationalen Forschungserkenntnissen setzte in der Gehörlosengemeinschaft eine Emanzipationsbewegung ein, die bis heute andauert. Auch das Selbstverständnis der Gebärdensprachdolmetscherinnen erfuhr einen Wandel und es entwickelte sich eine professionelle Berufsauffassung, in der Dolmetschen als eine zwischen zwei Sprachen und zwei Kulturen vermittelnde Dienstleistung verstanden wird, bei deren Ausübung Dolmetscherinnen an eine Berufs- und Ehrenordnung gebunden sind.
In vielen Lebensbereichen wird gehörlosen Menschen erst durch den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Veränderungen der Bildungssituation für hörgeschädigte Menschen, des Arbeitsmarktes und der gesetzlichen Rahmenbedingungen führen inzwischen zu einer Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten sowie zu einer explosionsartigen Nachfrage an qualifizierten Dolmetscherinnen.
Dieser Entwicklung wird seit Mitte der 90er-Jahre durch die Etablierung verschiedener Ausbildungs- und Hochschulstudiengänge sowie unterschiedlicher Prüfungsgremien Rechnung getragen.

 

Aufgaben und Tätigkeiten

Gehörlose Menschen bewegen sich in allen Lebensbereichen als Minderheit in einer Gesellschaft, die mehrheitlich aus Hörenden besteht. Egal, ob sie sich einer medizinischen Behandlung unterziehen, sich in einer öffentlichen Beratungsstelle beraten lassen, auf einer Behörde einen Antrag stellen, vor Polizei oder Gericht eine Aussage machen, sich weiterbilden oder aber an einer politischen oder kulturellen Veranstaltung teilnehmen wollen, überall stoßen sie auf Sprachbarrieren, da sie die gesprochene Sprache nicht oder nicht ausreichend wahrnehmen können und die hörende Mehrheit in der Regel nicht über Gebärdensprachkenntnisse verfügt. Die Schriftsprache ist für einen spontanen Austausch kein adäquater Ersatz, da ihre Verwendung erstens zu umständlich und Zeit raubend ist und sie zweitens von vielen Gehörlosen nur ungenügend beherrscht wird. Wollen Mitarbeiter dieser auf hörende Menschen ausgerichteten Institutionen (Behörden, Bildungseinrichtungen, Banken, Versicherungsunternehmen, Theater etc.) mit gehörlosen Menschen in Kontakt treten, so stoßen sie ebenfalls auf die beschriebenen Sprachbarrieren. Um eine reibungslose Kommunikation in diesen und weiteren Bereichen zu ermöglichen, können Gebärdensprachdolmetscherinnen tätig werden, die aus der gesprochenen in die gebärdete Sprache und umgekehrt dolmetschen und somit eine gegenseitige Verständigung beider Sprachgruppen ermöglichen.
Unter dem Oberbegriff Translation wird das Dolmetschen und das Übersetzen zusammengefasst. Im Folgenden sollen diese beiden Tätigkeiten in Bezug auf die Situation der Übertragung von Mitteilungen zwischen Hörenden und Gehörlosen näher erläutert werden.

 

Dolmetschen

Gebärdensprachdolmetscherinnen übertragen Äußerungen aus der gesprochenen Sprache in die gebärdete und umgekehrt. In der überwiegenden Zahl ihrer Einsätze sind sie direkt in der Kommunikationssituation zugegen, da die Gebärdensprache im Gegensatz zur gesprochenen Sprache visuell und nicht akustisch wahrgenommen wird. Gebärdensprachdolmetscherinnen handeln also in Gegenwart der beiden Parteien, für die sie tätig werden. Dadurch können sie Reaktionen auf den Texttransfer unmittelbar wahrnehmen und gegebenenfalls berücksichtigen.
Da Dolmetschen schwerpunktmäßig für den Augenblick bestimmt ist, muss die jeweilige Aussage im ersten Zugriff erfasst und umgesetzt werden. Eine nachträgliche Korrektur ist in der Regel nicht möglich. Die Dolmetscherin muss deshalb über ein umfassendes sprachliches, fachliches und kulturelles Wissen verfügen, das sie in der jeweiligen Situation in Sekundenbruchteilen abzurufen hat, ohne dass ihr hierbei Hilfsmittel zur Verfügung stünden. Vor jedem Einsatz ist daher eine gründliche inhaltliche und terminologische (fachsprachliche) Vorbereitung unumgänglich.
Beim Dolmetschen handelt es sich um einen hochkomplexen Prozess, welcher hohe fachliche und dolmetschtechnische Kompetenzen voraussetzt. Gleichzeitig sind Gebärdensprachdolmetscherinnen verpflichtet, ihre Arbeit gemäß ihrer Berufs- und Ehrenordnung gewissenhaft und bei höchstmöglicher Qualität auszuführen. Um dies zu gewährleisten, arbeiten Gebärdensprachdolmetscherinnen in der Regel in Doppelbesetzung.
Der Dolmetschprozess lässt sich grob durch drei zeitgleich ablaufende Schritte beschreiben:

  • Aufnahme der ausgangssprachlichen Mitteilung
  • Verarbeitung
  • Wiedergabe der Mitteilung in der Zielsprache

Die vom jeweiligen Sprecher getätigte Äußerung muss dabei in der zielsprachlichen Produktion so wiedergegeben werden, dass sie der Mitteilungsabsicht des Sprechers entspricht.

Grundsätzlich wird zwischen zwei Dolmetschtechniken unterschieden:

 

Simultandolmetschen

Die ausgangssprachliche Mitteilung wird von der Dolmetscherin sofort in die Zielsprache übertragen. Da bei dem oben beschriebenen dreischrittigen Prozess eine geringe Zeitverzögerung (time lag) entsteht, bleibt ein kurzer zeitlicher Abstand zwischen Originalaussage und gedolmetschter Aussage. Dennoch wird es dem Zuhörer/Zuschauer ermöglicht, die Mitteilung nahezu simultan aufzunehmen. Diese Technik wird bei der überwiegenden Zahl der Dolmetscheinsätze angewandt.

 

Konsekutivdolmetschen

Die ausgangssprachliche Mitteilung wird von der Dolmetscherin erst nach Beendigung einzelner Sätze, Sinnabschnitte oder der gesamten Mitteilung in die Zielsprache übertragen. Diese Art des Dolmetschens verlangt eine besondere Gedächtnisleistung und kann durch eine spezielle Notizentechnik erleichtert werden, bei der Merkzeichen für wichtige Sinnträger als Gedächtnisstütze für den späteren mündlichen Vortrag festgehalten werden.
Im Bereich des Gebärdensprachdolmetschens gibt es folgende Sonderformen, die sowohl simultan als auch konsekutiv gedolmetscht werden können:

 

Dolmetschen in lautsprachbegleitende Gebärden (Transliterieren)

Während gehörlose Menschen sich in der Regel der Gebärdensprache (in Deutschland: Deutsche Gebärdensprache, abgekürzt DGS) bedienen, die grammatikalisch von der gesprochenen Sprache abweicht, verwenden schwerhörige und ertaubte Menschen häufig eine Form der Visualisierung der gesprochenen Sprache: Mit Hilfe der lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) werden Sätze optisch wahrnehmbar gemacht, wobei der Satzbau der gesprochenen Sprache beibehalten, also die gleiche Grammatik verwendet wird. Beim Dolmetschen in lautsprachbegleitende Gebärden entfällt die Stufe der Umwandlung in eine andere Sprache. Stattdessen wird mit möglichst geringem Zeitabstand der gesprochene Text lautlos mitgesprochen, wobei die Wörter mit Gebärdenzeichen unterlegt werden.

 

Dolmetschen in Tastalphabete / Dolmetschen für Taubblinde

Für taubblinde Menschen wurden verschiedene taktile Kommunikationssysteme entwickelt, von denen sich in Deutschland das Lormen und das Buchstabieren von Alphabetzeichen in die Hand durchgesetzt haben. Beim Lormen ist jedem Buchstaben des Alphabets ein bestimmter Ort auf der Hand des Rezipienten zugeordnet, der berührt, gedrückt oder gestrichen wird. Beim Buchstabieren von Alphabetzeichen werden die unter Gehörlosen gebräuchlichen Handformen für die einzelnen Buchstaben des Alphabets in die Hand des Taubblinden gebärdet, so dass dieser sie abfühlen kann.
Da das Ausbuchstabieren der Ausgangsmitteilung viel Zeit kostet, wird beim Dolmetschen für Taubblinde oft eine verkürzte oder zusammenfassende Form verwendet. Eine andere mögliche Form des Dolmetschens für Taubblinde ist das Gebärden unter den abfühlenden Händen des Taubblinden (taktiles Gebärden). Diese Form des Dolmetschens ist in Deutschland bisher nur wenig verbreitet. Beim Dolmetschen für Taubblinde werden neben den sprachlichen auch visuelle Informationen übermittelt.
Weiterhin können bestimmte Konstellationen folgende Einsätze indizieren:

 

Relaisdolmetschen

Beim Relaisdolmetschen ist der Ausgangstext für eine Verdolmetschung nicht die Originalrede, sondern eine gedolmetschte Version dieser Rede. Das heißt, es wird zwischen Sender und Empfänger eine weitere Dolmetscherin eingesetzt, die in der Regel selbst gehörlos ist. Relaisdolmetscherinnen kommen auf internationalen Kongressen zum Einsatz oder wenn Gespräche mit ausländischen Gehörlosen oder Gehörlosen mit eingeschränkter Sprachkompetenz gedolmetscht werden.

 

Dolmetschen bei internationalen Zusammenkünften

Bei internationalen Zusammenkünften ist es häufig erforderlich, dass direkt aus einer weiteren Fremdsprache in die Deutsche Gebärdensprache bzw. aus der Deutschen Gebärdensprache in diese Fremdsprache gedolmetscht wird.
Es kann ebenfalls nötig sein, dass ein in internationalen Gebärden[3] gehaltener Vortrag in die deutsche Lautsprache übertragen wird oder umgekehrt.

 

Die wichtigsten Einsatzgebiete beim Gebärdensprachdolmetschen:

  • Dolmetschen im Bildungsbereich
    z. B. Berufsausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung, Erwachsenenbildung
  • Dolmetschen im Arbeitsleben
    z. B. Personalgespräche, Einarbeitungen, Besprechungen, Fortbildungen, Betriebsversammlungen
  • Dolmetschen im Gesundheitswesen
    z. B. Arztbesuche, Krankenhaus, Therapie
  • Dolmetschen in der öffentlichen oder privaten Verwaltung
    z. B. Behörden, Institutionen
  • Dolmetschen in Einrichtungen der Wirtschaft
    z. B. Handel, Banken, Versicherungen
  • Dolmetschen im Sozialbereich
  • Dolmetschen im Erziehungswesen
    z. B. Elternabende, Sprechtage, Schulkonferenzen
  • Dolmetschen im Rahmen der Judikative und Exekutive
    z. B. Gericht, Polizei, Rechtsanwaltskonsultationen usw.
  • Dolmetschen im religiösen Bereich
    z. B. Gottesdienste, Trauungen, Taufen, Beerdigungen
  • Dolmetschen in den Medien
  • Dolmetschen bei politischen oder kulturellen Veranstaltungen
    z. B. Versammlungen, Anhörungen, Museumsführungen, Stadtführungen, Theater, Kino
  • Dolmetschen im Freizeitbereich
    z. B. Sportvereine, private Feiern
  • Konferenzdolmetschen
    z. B. bei nationalen und internationalen Kongressen, Tagungen, Konferenzen

Übersetzen

Übersetzerinnen übertragen schriftliche Texte in eine andere Sprache, wobei zunächst der Ausgangstext sowie die Zielgruppe analysiert und anschließend ein der Mitteilungsabsicht des Autors entsprechender Zieltext erstellt wird, der im Idealfall in Form und Inhalt mit dem Ausgangstext übereinstimmt. Teilweise erfolgt jedoch auch eine formale, inhaltliche und/oder stilistische Anpassung an die Rezeptionsgewohnheiten der jeweiligen Zielgruppe oder an den jeweiligen Verwendungszweck, damit die beabsichtigte Wirkung eintritt bzw. damit das (Text-)Produkt in der Zielsprache seine Funktion erfüllt.
Übersetzungen werden in der Regel schriftlich niedergelegt und sind daher für die Dauer bestimmt. Der Transfer der übersetzten Botschaft vom Sender zum Empfänger erfolgt zeitlich versetzt.
Übersetzungen können während des Übersetzungsprozesses u. a. mit Hilfe von Hilfsmitteln (Nachschlagewerken, Wörterbüchern etc.) mehrfach überarbeitet und korrigiert werden und sollten am Ende jeder Überprüfung standhalten können.
Die hierfür erforderliche übersetzerische Kompetenz beinhaltet eine gezielte Aufgabenanalyse, Sachkenntnis (die gegebenenfalls durch Recherche angeeignet wird), Kreativität sowie sprachliche und sachliche Präzision.
Da es bisher keine Gebrauchsschrift für Gebärdensprache gibt, existieren keine schriftlichen Gebärdensprachtexte. Nichtsdestotrotz können Übersetzungen erforderlich werden und zwar immer dann, wenn gebärdete Texte auf Video festgehalten sind und in Schriftsprache übertragen werden sollen, oder aber wenn schriftliche oder gesprochene Texte gehörlosen Menschen in Form eines Gebärdensprachvideos zugänglich gemacht werden sollen.
Als Tätigkeitsbereiche könnten sich demzufolge theoretisch Texte aller Art ergeben (Fachtexte, Konferenzmitschnitte, Fernsehsendungen, Interviews, Berichte, Informationsvideos etc. und literarische Texte, z. B. Bühnenstücke, Prosa, Lyrik, Kinderbücher); praktisch besteht hier jedoch derzeit nur eine minimale Nachfrage.
Ein Sonderfall tritt dann ein, wenn Schriftstücke Bestandteil einer Verhandlung sind und diese übersetzt werden müssen. So kann z. B. in einer Gerichtsverhandlung die Anklageschrift gegen einen Gehörlosen schriftlich vorliegen und muss dann von der Dolmetscherin vom Blatt übersetzt werden. Oder aber ein Gehörloser fordert im Rahmen einer Bildungsmaßnahme von einer Dolmetscherin die Übersetzung eines schriftlichen Prüfungstextes in Gebärdensprache.

Andere Berufsmöglichkeiten und Tätigkeitsfelder

Neben der Tätigkeit als Gebärdensprachdolmetscherin können auch andere Tätigkeiten oder verwandte Berufe ausgeübt werden. Hierzu gehören:

 

Tätigkeiten im lexikographischen Bereich

Durch die Lexikographie werden die nötigen Hilfsmittel für sprachliche Tätigkeiten sowie deren Vermittlung erstellt. Dabei muss der allgemeinsprachliche und fachsprachliche Wortschatz unter lexikographischen und terminologischen Gesichtspunkten erhoben und bearbeitet werden. Lexikographen müssen dabei neben dem lexikographischen Fachwissen über Kenntnisse im Bereich der Semantik (Lehre von der Bedeutung der Wörter), der Phonetik (Lautlehre), der Etymologie (Lehre von der Herkunft der Wörter) und der Morphologie (Wortbildungslehre) verfügen.
Im Bereich der Gebärdensprache befassen sich Lexikographen mit der Er- und Bearbeitung von Gebärdensprachlexika, der Entwicklung zweisprachiger Materialien und der Erstellung von Unterrichtsmaterialien für den Gebärdensprachunterricht. Es können dabei teilweise Tätigkeiten anfallen, die denen von Terminologen nahe kommen, welche sich mit der Erarbeitung, Bearbeitung und Bereitstellung fachsprachlicher Ausdrücke und Formulierungen befassen.
Lexikographen arbeiten in Redaktionen von einschlägigen Fachverlagen, freiberuflich oder an Forschungsstätten.

 

Forschung

An Forschungsstätten arbeiten Gebärdensprachdolmetscherinnen sowohl im Bereich der Linguistik (Erforschung der Gebärdensprache, Entwicklung von Terminologiedatenbanken und Übersetzungsprogrammen etc.), als auch im Bereich der Translationswissenschaften.

 

Lehre an Ausbildungsstätten

Gebärdensprachdolmetscherinnen mit pädagogischer Befähigung arbeiten sowohl an Hochschulen als auch an anderen Ausbildungseinrichtungen als Lehrende im Dolmetschbereich.

 

Koordination in Einsatz- und Vermittlungszentralen

Gebärdensprachdolmetscherinnen werden auf Grund ihrer Sprach- und Sachkenntnis als Koordinatorinnen für Dolmetscheinsätze und die Vermittlung von Gebärdensprachdolmetscherinnen eingesetzt. In diesen Tätigkeitsbereich fällt u. a. die organisatorische Vorbereitung von Einsätzen, die Akquise und Weitergabe von Vorbereitungsmaterialien sowie die Betreuung, Beratung und Information der Kunden und Dolmetscherinnen einer Einsatzzentrale.

 

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Organisationen und Verbänden

In Organisationen und Verbänden, in denen Gehörlose zusammengeschlossen oder vertreten sind, oder die sich im weitesten Sinn mit Gebärdensprache und der Gebärdensprachgemeinschaft beschäftigen, können Gebärdensprachdolmetscherinnen auf Grund ihrer Sprach- und Sachkenntnis besonders im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll tätig werden.

Beschäftigungsverhältnisse

Gebärdensprachdolmetschen wird entweder haupt- oder nebenberuflich ausgeübt. Hauptberufliche Dolmetscherinnen können als Selbstständige oder als Arbeitnehmerinnen tätig werden, wobei in Deutschland die selbstständige Tätigkeit überwiegt.
Arbeitnehmerinnen im Angestelltenverhältnis gibt es bisher bei öffentlichen und privaten Institutionen und Einrichtungen wie Universitäten, Fachhochschulen, Bildungseinrichtungen, Verbänden, Rehabilitationseinrichtungen sowie in der freien Wirtschaft.
Selbstständig arbeitende Dolmetscherinnen schließen sich vereinzelt in privaten Dienstleistungsfirmen und Dolmetscherbüros (Bürogemeinschaften) zusammen.

 

Berufsvoraussetzungen, Ausbildung, Abschlüsse, Weiterbildung

Für die Tätigkeit des Gebärdensprachdolmetschens gibt es keinen einheitlichen Zugang. Die Qualifikation für die Ausübung dieser Tätigkeit kann unterschiedlich nachgewiesen werden, wobei qualitativ graduelle Unterschiede festzustellen sind.
Es besteht keine gesetzliche Regelung der Berufsausübung für Gebärdensprachdolmetscherinnen, auch ist die Berufsbezeichnung nicht gesetzlich geschützt, weshalb sie allein kein Indiz für Qualität ist. Gegen eine unberechtigte Führung des akademischen Grades Diplom-Gebärdensprachdolmetscherin / Diplom-Gebärdensprachdolmetscher, der nur von Hochschulen verliehen werden darf, bzw. des Titels staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin / staatlich geprüfter Gebärdensprachdolmetscher gibt es jedoch einen strafrechtlichen Schutz.

 

Berufsvoraussetzungen

Gebärdensprachdolmetscherinnen benötigen übersetzerische Kompetenzen sowie sprachliche und fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Sprachbegabung bzw. die Beherrschung des Deutschen[4] und der Deutschen Gebärdensprache[5] ist zwar Voraussetzung für ein effektives und effizientes Dolmetschen, sprachliches Wissen allein ist jedoch nicht ausreichend, um dolmetschen zu können. Über die traditionellen einzelsprachlichen Fähigkeiten (Hörverständnis und Sprechfertigkeit / Sehverständnis und Gebärdenkompetenz bzw. Leseverständnis und Schreibfähigkeit) hinaus sind weitere Fähigkeiten unabdingbar, die unter dem Begriff übersetzerische Kompetenz zusammengefasst werden. Hierzu gehören:

  • Translatorisches Wissen (auch prozessuales Wissen)
  • Fachwissen bzw. Sachverhaltswissen
    Dieses Wissen eignet sich die Dolmetscherin im Laufe ihrer Ausbildung sowie ihrer beruflichen Tätigkeit an.
  • Kulturelles Wissen

Umfassende Kenntnisse der Kultur und Lebensweise der hörenden Mehrheit sowie der Gewohnheiten, Besonderheiten und Lebensweise der Gebärdensprachgemeinschaft.
Der Begriff translatorisches Wissen umfasst das Erkennen von Text- bzw. Redestrukturen und -funktionen und den Transfer derselben in die Zielsprache sowie die Beherrschung von Strategien (Umgang mit Störeinflüssen etc.) bzw. Methoden und Techniken (simultan und konsekutiv dolmetschen etc.).
Darüber hinaus wird eine spezifische Begabung für das Simultandolmetschen benötigt, die durch spezielle Ausbildung und intensives Training zu einer praxistauglichen Kompetenz entwickelt werden kann. Diese spezifische Begabung beinhaltet die Fähigkeit zur unmittelbaren Umwandlung von in einer Sprache gesprochenen bzw. gebärdeten Mitteilungen (wobei ein antizipatorisches Erkennen von syntaktischen Strukturen und Sinnzusammenhängen nützlich ist), ein hohes Konzentrationsvermögen, schnelle Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtnis, Redegewandtheit, umfassende Allgemeinbildung, gute Stimmtechnik und -modulation sowie sicheres und gewandtes Auftreten in der Öffentlichkeit. Da Gebärdensprachdolmetscherinnen zumindest für die gehörlosen Rezipienten sichtbar sein müssen, befinden sie sich permanent mitten im Geschehen. Deshalb ist die zuletzt genannte Kompetenz von besonderer Bedeutung: Der erhöhten Aufmerksamkeit, die Gebärdensprachdolmetscherinnen auf Grund ihrer ungewöhnlichen und stets sichtbaren Tätigkeit oft entgegengebracht wird, muss souverän begegnet werden. Ebenso muss der zusätzliche Stress, der durch die unmittelbare Nähe zum Geschehen entstehen kann, unbemerkt bewältigt werden.
Weil Dolmetscherinnen überwiegend an wechselnden Orten zum Einsatz kommen, unregelmäßige Arbeitszeiten haben und sich fortwährend auf unterschiedliche Situationen und Gesprächsteilnehmer einstellen müssen, sollten sie über ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität verfügen. Sie sind einer hohen psychischen und physischen Belastung ausgesetzt, weshalb eine gute Gesundheit und Kondition sowie ein hohes Leistungsvermögen unabdingbar sind.
Da Gebärdensprachdolmetscherinnen in der Regel in Teams arbeiten, wobei sie sich gegenseitig unterstützen und nach einem vorher vereinbarten Zeitturnus abwechseln, sollten sie außerdem über Teamfähigkeit sowie Kritik- und Konfliktfähigkeit verfügen.
Aus den beiden zuvor genannten Gegebenheiten ergibt sich die Notwendigkeit guter organisatorischer und koordinatorischer Fähigkeiten.
Um die verantwortungsvolle Tätigkeit auf einem hohen Niveau ausüben zu können, werden außerdem ein hohes Maß an intellektueller Neugier, Kreativität, abstrakt-logischem Denken und Bereitschaft zu lebenslangem eigeninitiativem Lernen benötigt.
Die Gebärdensprachgemeinschaft ist eine sehr kleine, überschaubare Gemeinschaft, in der Informationen schnell von einem zum anderen gelangen. Gebärdensprachdolmetscherinnen sollten deshalb mit dem aus vielfachen Dolmetschsituationen erworbenen Wissen über Personen und Sachverhalte überaus diskret umgehen.
Das Dolmetschen in einzelnen Bereichen stellt darüber hinaus spezielle Anforderungen an die jeweilige Dolmetscherin:

  • Beim Konferenzdolmetschen werden hohe sprachliche und fachliche Anforderungen gestellt. Es wird die Fähigkeit vorausgesetzt, sich innerhalb kürzester Zeit auf der Grundlage von Kongressunterlagen und Fachliteratur in neue Gebiete einzuarbeiten. Da unmöglich im gesamten Wissensspektrum eine gute Dolmetschqualität geboten werden kann, erfolgt häufig eine Spezialisierung auf bestimmte Themengebiete. Die Anforderungen beim Dolmetschen im Bildungsbereich und im Arbeitsleben bzw. der freien Wirtschaft sind vielfach ähnlich.
  • Beim Gerichtsdolmetschen ist eine breite Allgemeinbildung ebenso wichtig wie forensische Grundkenntnisse sowie die Kenntnis der juristischen Terminologie in beiden Arbeitssprachen. Daneben sind häufig Fachkenntnisse in anderen Gebieten erforderlich (Technik, Medizin o. ä.), so dass auch hier intensive Vorbereitung wie z. B. Aktenstudium betrieben werden muss.

Ausbildungsgänge und Abschlüsse

In Deutschland gibt es verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten für Gebärdensprachdolmetscherinnen:

  • Universität mit dem Abschluss Diplom-Gebärdensprachdolmetscherin bzw. Diplom-Gebärdensprachdolmetscher
  • Fachhochschule mit dem Abschluss Diplom-Gebärdensprachdolmetscherin (FH) bzw. Diplom-Gebärdensprachdolmetscher (FH)
  • berufsbegleitende Ausbildungsgänge mit Zertifizierung

Darüber hinaus bieten einige private Sprachenschulen und -institute sowie sonstige Einrichtungen Ausbildungen für Gebärdensprachdolmetscherinnen an, die in Niveau und Qualität äußerst unterschiedlich ausfallen und von den einschlägigen Verbänden sowie Kostenträgern nicht in jedem Fall anerkannt werden.
Die Eingangsvoraussetzungen für die unterschiedlichen Ausbildungsgänge variieren und können bei den jeweiligen Ausbildungsstätten erfragt werden. Eine aktuelle Liste der vom Bundesverband der GebärdensprachdolmetscherInnen Deutschlands e.V. anerkannten Ausbildungsstätten kann über die Geschäftsstelle angefordert werden.
Unabhängig von einer Ausbildung gibt es die Möglichkeit, einen Qualifikationsnachweis bei einem staatlichen Prüfungsamt zu erwerben. Erfolgreiche Absolventinnen der Prüfung sind berechtigt, den Titel “staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin” / “staatlich geprüfter Gebärdensprachdolmetscher” zu führen.

 

Weiterbildung

Eine ständige Fort- und Weiterbildung auch nach Abschluss einer Ausbildung ist für Gebärdensprachdolmetscherinnen unabdingbar.
Um den komplexen Anforderungen sowie den wechselnden Themen bei unterschiedlichen Einsätzen gewachsen zu sein, muss sich die Dolmetscherin in sachlicher und sprachlicher Hinsicht ständig auf dem Laufenden halten.
Auch der Umgang mit neuen technischen Medien muss fortlaufend geübt und erweitert werden.

Arbeitsmittel, Verfahren und technische Ausstattung

Für die Recherche und Vorbereitung im Zusammenhang mit einzelnen Aufträgen, also die zielgerichtete Beschaffung von Informationen und Fachwissen, kann die Gebärdensprachdolmetscherin auf Fachliteratur, Enzyklopädien, ein- und mehrsprachige Wörterbücher, terminologische und sonstige Datenbanken zurückgreifen. Für den gebärdensprachlichen Bereich gibt es insgesamt nur wenig Materialien. Es liegen jedoch Bildwörterbücher zum Grundvokabular sowie mehrere Fachgebärdenlexika vor. Zur Erweiterung des Gebärdenschatzes können diverse CD-ROMs sowie Videos genutzt werden.
Auf Grund der fehlenden bzw. eingeschränkten Auswahl an Arbeitsmitteln im gebärdensprachlichen Bereich ist ein permanenter Kontakt zu kompetenten Gebärdensprachlern zu empfehlen.
In der Zukunft wird die (digitale) Video- und Bildbearbeitungstechnik zunehmend relevant werden; der Umgang mit derartiger Technik erfordert ein spezielles Knowhow. Diese Art von Verfahren könnte z. B. bei der Übersetzung von schriftsprachlichen Texten in Deutsche Gebärdensprache und umgekehrt oder aber bei der Erstellung von Untertiteln zu Filmen in Gebärdensprache eingesetzt werden.
Auch für Gebärdensprachdolmetscherinnen spielt der Computer eine wichtige Rolle. Er findet nicht nur bei der Verwaltung des individuellen Kundenstammes, der Bearbeitung der Geschäftskorrespondenz und der Erstellung von Texten Anwendung, sondern kann zur Recherche (Internet), zum Austausch (Fax, E-Mail, Bildkonferenz) und zur Nutzung von Datenbanken verwendet werden.
Gebärdensprachdolmetscherinnen sollten über weitere technische Kommunikationsmedien (wie Fax, Bildtelefon, Video etc.) verfügen.

 

Zukunftsperspektiven

Die Lebenssituation gehörloser Menschen in Deutschland befindet sich in ständiger Veränderung und Entwicklung (Verbesserung und Neuentwicklung medizinisch-technischer Hilfen, Veränderung der Bildungssituation Gehörloser, neue Entwicklungen in den Kommunikationstechnologien, gesetzliche Veränderungen sowie zunehmende Globalisierung und internationaler Austausch). Hierdurch wandeln sich auch die Bereiche und Situationen, mit denen Gebärdensprachdolmetscherinnen konfrontiert werden: Ansprüche an das Verhalten, die Fähigkeiten und Kenntnisse von Dolmetscherinnen werden sich verändern bzw. erhöhen, technisches Wissen wird in Zukunft eine größere Rolle spielen und eine Erweiterung der Einsatzbereiche ist bereits jetzt abzusehen. Die politische Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache wird diesen Wandel voraussichtlich noch forcieren. Um konstant eine qualitativ hochwertige Leistung erbringen zu können, ist eine ständige Auseinandersetzung mit den hier genannten Veränderungen sowie eine Anpassung an dieselben unabdingbar. Bereiche, die in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden sollen, sind:

  • Ausbau der wissenschaftlichen Grundlagen (linguistische und translationswissenschaftliche Forschung zur Gebärdensprache bzw. zum Gebärdensprachdolmetschen)
  • Ausbau und Verbesserung der Aus- und Weiterbildungsprogramme
  • Entwicklung von Qualitätsstandards
  • Vergrößerung des Spektrums der Einsatzbereiche
    (damit verbunden evtl. verstärkte Spezialisierung sowie Bereitschaft zur Aneignung neuer, zusätzlicher Inhalte. Sinnvoller Einsatz von Zusatzqualifikationen wie frühere Berufsausbildung, Studium einer anderen Fachrichtung etc.)
  • Aneignung von Wissen über kommunikationstechnische Neuerungen und deren Anwendung (evtl. Veränderung traditioneller Arbeitsweisen, -techniken und Rahmenbedingungen wie Dolmetschen am Bildtelefon etc.)
  • Entstehung und Verbreitung von Mischberufsfeldern
  • Vermehrter Einsatz von Relais-Dolmetscherinnen

Es ist davon auszugehen, dass bei zunehmender Differenzierung der Eingangsvoraussetzungen in den Beruf in Zukunft gestufte Vergütungsmodalitäten und damit unterschiedliche Einkommensverhältnisse eintreten werden.

 

Literaturauswahl

Horst Ebbinghaus, Jens Heßmann:
Gehörlose, Gebärdensprache, Dolmetschen. Chancen der Integration einer sprachlichen Minderheit. Hamburg 1989
Nadja Grbic:
Kein Fall nur für Notfälle. Gebärdensprachdolmetschen.
In: Ingrid Kurz / Angela Moisl (Hg.): Berufsbilder für Übersetzer und Dolmetscher. Wien 1997, S. 149-156
Gudrun Hillert:
Doppelbesetzung und Dolmetschen im Team
In: Das Zeichen Nr. 49/1999, S. 432-438
Regina Leven:
Gebärdensprachdolmetschen – Studiengänge und Fortbildungen in Deutschland
In: Das Zeichen Nr. 53/2000, S. 484-486
Regina Leven:
Kriterien für die Beurteilung von Dolmetschleistungen.
Ein Leitfaden für die Vorbereitung auf Dolmetschprüfungen
In: Das Zeichen Nr. 55/2001, S. 140-153
Christiane Maßmann:
Arbeitsbedingungen von Gebärdensprachdolmetscherinnen und mögliche Folgen
In: Das Zeichen Nr. 33/1995, S. 335-344
Nicole Ostrycharczyk:
Community Interpreting und Gebärdensprachdolmetschen.
Begriffsklärung, Gemeinsamkeiten und Unterschiede
In: Das Zeichen Nr. 55/2001, S. 130-139
Meike Vaupel:
Englische Fachliteratur in DGS – ein Übersetzungsprojekt
In: Das Zeichen Nr. 51/2000, S. 126-128
Mirta Vidal:
Neue Studie zu Ermüdungserscheinigungen bestätigt die Notwendigkeit der Arbeit im Team
In: Das Zeichen Nr. 58/2001, S. 618-623

 

Quelle:
BGSD e.V.: „Berufsbild für Gebärdensprachdolmetscher/innen und verwandte Berufe“
In: Broschüre des Bundesverbandes der Gebärdensprachdolmetscher/innen Deutschlands e.V. von 2002